„Wir bieten an, die fehlenden Mittel übernehmen.“ Für diesen ebenso überraschenden wie konstruktiven Vorschlag haben sich die Schulleitung des Dominicus-von-Linprun-Gymnasiums sowie der Verein der Freunde und Förderer nach intensiven Gesprächen über das drohende Ende der Förderstelle „Demokratie leben“ entschieden. Die Schule bietet an, dieses Jahr geplante Maßnahmen, die zu Lasten des Landkreises gehen, zu verschieben bzw. mit Unterstützung des Fördervereins zu finanzieren. Der Landkreis könnte die so eingesparten Mittel von rund 14.500€ zur Fortführung der Förderstelle einsetzen.
Schulleiter Martin Friedl und dem Vorsitzenden des Vereins der Freunde und Förderer Stephan Ebner ist es wichtig, hier klare Prioritäten zu setzen und die Diskussion konstruktiv voranzubringen. „Demokratieerziehung ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein die Schulen wahrnehmen können.“
Im Vorfeld des Vorschlags fanden intensive Gespräche mit Mitgliedern der Schulfamilie statt, die das Anliegen alle befürworten.
Ende der Stelle wäre „fatales Signal“
Ludwig Winklbauer besucht die elfte Klasse und engagiert sich auch im Viechtacher Jugendrat. Seiner Ansicht nach sei es „ein fatales Signal, die Förderstelle gerade jetzt einzustellen. In Zeiten, in denen Extremismus auf dem Vormarsch ist und offen Gewalttaten an demokratischen Mandatsträgern verübt werden, wird politische Bildung wichtiger denn je.“ Im Erhalt der Förderstelle sieht der Siebzehnjährige nicht nur eine Investition in politische Bildung, sondern auch in die Zukunft unserer Gesellschaft. Auch Klassenkameradin und Schülersprecherin Lilli Weiß übt Kritik: „Damit würden wichtige Fördermittel fehlen, mit denen Jugendgremien auch an den Schulen Aktionen zur Demokratieerziehung durchführen können.“ Johanna Gruber engagiert sich ebenfalls im Viechtacher Jugendforum und befürchtet durch diese Entscheidung das Aus für manche Jugendforen in der Umgebung, die von der Finanzierung durch die Stelle abhängig sind. Abiturientin Sophia Pongratz gibt zu bedenken: „Für junge Menschen wie uns ist es aktuell nicht ganz einfach, sich in einer Welt voller Fake News zurechtzufinden. Wir sind dankbar für jede Hilfestellung, die uns dabei hilft, Extremisten nicht auf den Leim zu gehen und Diskriminierung schon im Ansatz zu verhindern. Wir brauchen jemanden, der unserer Sprache spricht und uns Möglichkeiten aufzeigt, wie wir uns aktiv in die Gesellschaft einbringen können.“
Engagement für die Demokratie als Bildungsziel
Aus der Fachschaft Politik und Gesellschaft sowie vom Präventions- und Interventionsteam kommt ebenfalls Unverständnis: Offenheit, Toleranz und Engagement für die Demokratie gehören zu den obersten Bildungszielen. Kerstin Troiber betont, dass die politische Bildung in den letzten Jahren schulartübergreifend Stärkung erfahren hat, weil die Notwendigkeit von politischer Seite erkannt wurde. Umso mehr verwundert und irritiert auch angesichts aktueller Wahlergebnisse die Absicht, das Programm auslaufen zu lassen.
In besonderem Maße kann Demokratie in Veranstaltungen gelernt werden, die über den Unterricht hinausgehen. In den letzten beiden Schuljahren konnten dank der Fördermittel verschiedene Projekte umgesetzt werden. So fand zum Beispiel ein Workshop für die siebte Jahrgangsstufe zu den Themen Toleranz, Vielfalt und Diversität statt. Noch in diesem Schuljahr werden die 8.Klassen dank der Fördermittel im Rahmen der Alltagskompetenzwoche im Umgang mit Sozialen Medien geschult.
Zentraler Netzwerkpartner
Aus Sicht der Schulsozialpädagogin Stefanie Seipel leistete und leistet „Demokratie leben“ als externer Netzwerkpartner außerhalb der Schule bedeutende Unterstützung durch Vernetzung, Beratung und Begleitung bei der Umsetzung unserer Erziehungsziele für unsere Kinder und Jugendlichen. Durch die verschiedenen Projekte wurden gleichfalls die Eltern und Erziehungsberechtigten und die Schulfamilie einbezogen. Die Schwerpunkte der Bildungsangebote, die mit dieser Unterstützung realisiert werden könnten, sind nicht über andere Wege zu leisten. Weiterhin ist Sigrid Kick für sie „eine große Bereicherung, um externe Kooperationspartner zu finden und zu finanzieren, die mit ihrem individuellen Fachwissen an der Bildung beteiligt werden und präventive Ansätze vermitteln.“
Auch eine Elternveranstaltung konnte der Elternbeirat dank der finanziellen Unterstützung durch das Programm bereits organisieren. Wenn Fördermittel wegfallen und Projekte dennoch fortgesetzt werden sollen, würde das eine finanzielle Mehrbelastung der Eltern bedeuten.
Offenheit durch Kunst
Nachdem Sigrid Kick im letzten Jahr auf das Kunstprojekt „Verbindungslinien“ aufmerksam geworden ist, wird eine Fortführung in diesem Jahr finanziert. Schülerinnen und Schüler der Mittelschule Viechtach und dem Gymnasium arbeiten dabei gemeinsam, entwerfen Fahnen für die beiden Schulen und organisieren eine öffentliche Vernissage. Kunstlehrerin Britta Wahlers sieht in der Kunst eine große Chance, Veränderungen zu schaffen. Mit Kunstprojekten ermöglicht sie Kindern und Jugendlichen, sich mit Offenheit und ohne Schubladendenken zu begegnen, Probleme wahrzunehmen und gemeinsam nach Lösungen forschen.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Wirtschaftslehrer Matthias Lehner rückt auch auf die Auswirkungen dieser Entscheidung auf den Landkreis als Investitionsstandort. Die hohen Wahlergebnisse der AfD in unserem Landkreis sind ein alarmierendes Warnsignal. Rechtsextremes Wahlverhalten und Fremdenfeindlichkeit gefährden die Attraktivität des Landkreises Regen als Investitionsstandort. Die Projektstelle „Demokratie leben“ spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung von Werten, die unmittelbar mit der Fachkräftegewinnung für den Landkreis zusammenhängen. Menschen ziehen nur in Regionen, in denen sie sich, unabhängig von Herkunft, Glauben oder Hautfarbe, willkommen fühlen. Ohne ein tolerantes und weltoffenes Umfeld werden wir es schwer haben, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, was insbesondere in Anbetracht der Überalterung und Abwanderung in unserem Landkreis kritisch ist. Regionale Unternehmen, insbesondere im Tourismus und der Industrie, sind auf ein positives Image und ein inklusives Arbeitsumfeld angewiesen. Die Fortführung der Projektstelle „Demokratie leben“ ist entscheidend, um Extremismus entgegenzuwirken und die soziale Kohäsion zu stärken.
Förderverein würde Kosten tragen
Stephan Ebner, Vorsitzender der Freunde und Förderer des Gymnasiums unterstützt das Anliegen, die Stelle fortzuführen auf ganzer Linie: „Wir Eltern hoffen, dass unsere Kinder zu verantwortungsvollen und engagierten Bürgern heranwachsen. „Demokratie leben“ ermutigt Kinder und Jugendliche, sich aktiv in ihrer Gemeinschaft zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen, was auch das Familienleben bereichern kann und ein Baustein zur vielfältigen Entwicklung unserer Kinder ist.“ In den angebotenen Programmen sieht Ebner einen Mehrwert für die Erziehung und die Teilhabe in der Familie und Gesellschaft. Mit dem Finanzierungsvorschlag wird die Bedeutung der Demokratieerziehung zum Ausdruck gebracht. Ebner hofft darauf, auch in der Bevölkerung Unterstützung für die lebensrettenden Maßnahmen der Förderstelle „Demokratie leben“ zu finden: „Wir sind dankbar für finanzielle Unterstützung.“ Mit dem vorgelegten Vorschlag hofft das Gymnasium zu bewirken, dass der Landkreis den Antrag auf Fortführung des Programms noch fristgerecht stellt.
Bettina Wensauer