Am 10.2.2017 referierte Prof. Dr. Hans Hopfinger, emeritierter Lehrstuhlinhaber für Kulturgeographie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, am Dominicus-von-Linprun-Gymnasiums zum Thema „Arabischer Frühling“ und was davon nach sechs Jahren noch bleibt. Er verstand es, die Entwicklungen in diesem vielschichtigen Kulturerdteil in einen historischen Kontext einzubetten und für die Schülerinnen und Schüler aus der achten und zwölften Jahrgangsstufe nachvollziehbar darzustellen.
Prof. Hopfinger betonte immer wieder die hohe Komplexität des arabischen Raumes hinsichtlich unterschiedlicher Ethnien, Religionen, Wirtschafts- und Herrschaftsstrukturen. Die geringen Kenntnisse über „den Orient“, der auch nicht deckungsgleich mit dem „arabischen Raum“ zu verstehen ist, rühren auch von der geringen Präsenz der Hintergründe der Konflikte und Spannungen in unseren Medien. So muss beispielsweise das ARD-Studio Kairo die gesamte Berichterstattung für diesen riesigen Raum sicherstellen. Dass hierbei einzelne Facetten und Nuancen verschwimmen, versteht sich von selbst. In den Augen der Deutschen scheint etwa der Islam als homogenes Identitätsmerkmal für „die Araber“ vorherrschend zu sein. Herr Hopfinger stellte die unzähligen Strömungen des Islam heraus und unterstrich, dass neben dem Islam andere Religionen, manchmal mit größerer Bedeutung als man erwartet, den Orient bereichern. So stellen die ägyptischen Kopten, orthodoxe Christen, ungefähr ein Zehntel der Bevölkerung.
Obwohl der fruchtbare Halbmond die Wiege der menschlichen Zivilisation mit Städtebau, Pflanzenzucht und Viehhaltung darstellte, ist die arabische Welt in der Entwicklung unter anderem der Wissenschaften, aber auch der gesellschaftlichen Strukturen, deutlich zurückgefallen. Und das, obwohl der Raum eine spektakuläre Natur, einen immensen Ressourcenreichtum und hohe Potentiale für die Tourismusindustrie aufweist. Gerade wenn man die Bilder der Zerstörung des antiken Palmyra durch den IS in Syrien vor Augen hat, wird einem bewusst, dass hier nicht nur Vergangenheit zerstört, sondern auch künftige touristische Entwicklung gehemmt wird. Vor allem der zur Globalisierung gehörende grenzüberschreitende Tourismus ist für das gegenseitige Verständnis verschiedener Kulturen von großer Bedeutung. Dieses zu unterbinden bildet einen Teil der Kalifatsträume der Schlächter des IS.
Für die andauernden Krisen im arabischen Raum gibt es laut Prof. Hopfinger endogene und exogene Gründe. Als endogene, also aus sich heraus wirkende Gründe, lassen sich zum Beispiel überbordende Bürokratie, Verschuldung, mangelhafte Infrastruktur, Korruption und soziale Polarisierung ausmachen.
Die exogenen Gründe greifen teilweise Jahrhunderte zurück, erreichten aber mit mit dem Sykes-Picot-Abkommen einen neuralgischen Punkt in der Geschichte, der bis heute deutliche Nachwirkungen zeigt. Im Spannungsfeld aus Rohstoffbedarf, Kapitalinteressen und Macht, haben die Nachwehen des Ersten Weltkriegs Einflusssphären und Staaten hervorgebracht, die in keinerlei Hinsicht den Stammesgebieten entsprachen. Frankreich und das Vereinigte Königreich haben sich, abweichend von der Vereinbarung mit den alliierten arabischen Stämmen, die mit ihnen gemeinsam gegen das Osmanische Reich kämpften, ihren Einfluss gesichert. Das galt eben auch für das französisch dominierte heutige Syrien und den Libanon, wie für den britisch dominierten heutigen Irak.
Exemplarisch für die westliche Einflussnahme und Ausbeutung sei die Entwicklung im Iran seit den 1950er Jahren, erläuterte Hopfinger. So begann mit dem von der CIA und dem MI6 (Brit. Geheimdienst) geplanten und durchgeführten Putsch gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh der andauernde Konflikt mit dem Westen, insbesondere mit den USA. Die islamische Revolution gegen den mit den USA verbündeten Schah und die Besetzung der US-Botschaft in Teheran mit einer mehr als ein Jahr dauernden Geiselnahme war die Vergeltung für die Ausbeutung der Bevölkerung. Es folgten der Iran-Irak-Krieg in den 1980er Jahren und die Isolierung des Iran durch Sanktionen seitens des Westens.
Im Arabischen Frühling kulminierte die Perspektivlosigkeit der Jugend des arabischen Raums, die durch hohes Bevölkerungswachstum, mangelnde Bildung und fehlende Arbeitsplätze in vielen Ländern eine kritisches Maß erreichte. Gerade auch Europa leistet seinen Beitrag durch den Export von banalen Dingen wie subventioniertem Gemüse und Hühnerfleisch oder Second-Hand-Textilien, da diese Güter die lokalen Produzenten um ihre Märkte berauben und gerade die Situation der Millionen von jungen Menschen weiter verschlechtern. Nicht nur kriegerische Auseinandersetzungen führen zur Flucht ins scheinbare Paradies Europa, sondern auch wirtschaftliche Chancenlosigkeit in einseitigen Handelsbeziehungen. Der Westen muss sich also auch an die eigene Nase fassen und Verantwortung zeigen. Die Konflikte im arabischen Raum haben, nicht erst seit der Flüchtlingskrise, sehr wohl mit uns zu tun.
Im Anschluss konnte Prof. Hopfinger den interessierten Schülerinnen und Schülern der achten und zwölften Klassen noch einige Fragen beantworten, bevor sich die Kollegen der Fachschaften Geographie und Geschichte herzlich für den spannenden und informativen Vortrag bedankten.